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Das Buch als Experiment

Der Verlag BOM DIA BOA TARDE BOA NOITE hat sich auf Künstler*innenpublikationen spezialisiert, die so individuell wie sorgfältig gestaltet sind. Das Programm umfasst aber noch viel mehr: Magazine, Kalender, Editionen, T-Shirts, Buchstützen etc. Beim Besuch in ihren Räumen in der Rosa-Luxemburg-Straße führt Elena Malzew, Publishing House Manager, in die Arbeit des Verlages ein.

Elena Malzew steht vor dem wandfüllenden Bücherregal und holt ein Buch nach dem anderen herunter. „Das musst du dir auch unbedingt anschauen“, sagt sie und reicht mir eine Publikation mit dem Titel Ixiptla herunter. Es ist ein Magazin der Künstlerin Mariana Castillo Deball, mit der der Verlag seit Anbeginn zusammenarbeitet und mit der bereits mehrere Publikationen entstanden sind. Als nächstes nimmt Elena Malzew ein besonders großes und schweres Buch aus dem Regal. Es ist von Nina Canell und aus Anlass ihrer Ausstellung Tectonic Tender in der Berlinischen Galerie entstanden. Shell Reader heißt es und besteht vorwiegend aus Fotografien von Muscheln. Die konzeptuelle Konsequenz – gepaart mit einem schimmernden Beschnitt – macht das Buch zu einem Hingucker und zeigt auf, wo der Unterschied zu herkömmlichen Ausstellungskatalogen liegt. Malzew betont, dass der Schwerpunkt des Verlages auf Künstler*innenpublikationen liegt, die in enger Zusammenarbeit mit diesen entstehen. Sie zeichnen sich durch die Kombination unterschiedlicher Papiere und Inserts, durch experimentelles Design und unkonventionelle Ansätze aus. So werden mehrere Ausstellungen in der Klosterruine, die dort im Sommer 2021 stattfanden, in Form von vier Klosterruinenzines dokumentiert, die weniger dokumentieren, was passiert ist, als das sie das Medium für etwas neues nutzen: „A map, a notebook, a calendar and a dream diary, these four zines allow you to become your own archeologist“, heißt es auf der Website des Verlages. Dass die Texte alle auf Englisch sind – sowohl in den Zines als auch im Verlag – ist Programm, denn der Verlag agiert international. Das drückt sich nicht nur in der Internationalität der Künstler*innen und der verwendeten Sprache aus, sondern auch im Vertrieb und der Präsenz des Verlages auf Buch-Messen in Städten wie New York, Los Angeles, Mexiko, Paris, Brüssel, Berlin.

Vor kurzem erst ist die Messe in New York zu Ende gegangen und Elena Malzew ist mit einem deutlichen Plus nach Berlin zurückgefahren. Mich wundert das nicht, so überzeugend wie routiniert wie sie die Bücher des Verlages anpreist. Nach den eher mauen Corona-Jahren und arbeitsintensiven, aber wenig ertragreichen Versuchen, das Messeformat ins Digitale zu verlagern, sind diese Messemomente umso beflügelnder. „Dieses Buch hier“, sagt Malzew und zeigt auf eine umfangreiche Publikation mit dem Titel Beau Geste Press, „ist in Mexiko bereits nach drei Stunden ausverkauft gewesen. Es fasst die Aktivitäten des unabhängigen Verlages Beau Geste Press zusammen, der 1971 in England von zwei mexikanischen Künstler*innen gegründet wurde. Es ist ein Buch für Insider, die die Publikation dafür umso mehr zu schätzen wissen.“
Apropos Ausverkauf: Viele der in nur in geringer Auflage gedruckten Bücher, Kalender oder Editionen sind bereits vergriffen. Das bringt das Gespräch auf die Finanzierung der Bücher. „Die meisten der Künstler*innen bringen eine Förderung mit oder publizieren ihre Bücher in Kooperation mit Institutionen. Anderen unterstützen wir auch schon mal bei Förderanträgen. In den letzten zwei Jahren hat sich die Anzahl der Einreichungen stark erhöht. Das könnte mehrere Ursachen haben. Ein Grund sind sicherlich die Neustart-Förderungen, die seit dem Beginn der Pandemie ausgeschüttet wurden. Sie waren für verschiedene Formate angedacht, u.a. auch für Bücher, wofür es bekanntlich sonst schwer ist, Förderungen zu bekommen. Zum anderen denke ich, dass die Sichtbarkeit des Verlags stetig wächst und somit Künstler*innen oder Institutionen darauf aufmerksam werden. Damit erhöht sich leider auch die Zahl Bücher, die wir nach den Entscheidungen des Editorial Board ablehnen müssen.“
Die wachsende Bekanntheit des Verlages kann noch einen weiteren Grund haben: die Umtriebigkeit seines Gründers Manuel Raeder. Zusammen mit Manuel Goller, der heute das Designbüro new tendency leitet, hat er 2011 den Verlag gegründet, zwei Jahre später trennten sich die Wege und Raeder machte alleine weiter. Wobei er den interdisziplinären Ansatz, neben Publikationen auch Möbel und Mode zu designen, fortsetzt – und um Webdesign und Ausstellungsdisplays (wie für die Klosterruine) erweitert hat. Als ich zu Besuch bin, hängt ein Ausstellungsplakat des Ludwig-Forums Aachen, für das Raeder jüngst das Display entworfen hat, an einer Tür. Er selber befindet sich zur Zeit auf einem Workshop des Programms School of Casablanca, eine Kooperation der KW Institute for Contemporary Art und der Sharjah Art Foundation in Casablanca.
Die Motivation einen eigenen Verlag zu gründen, entstand, als Manuel Raeder zusammen mit befreundeten Künstler*innen feststellen musste, dass es für experimentelle Buchformate in kleinen Auflagen kaum Verlage gibt. Dabei sind viele der Künstler*innen, mit denen er zusammenarbeitet, bekannt. Charakteristisch für das Programm ist dessen Vielfalt. Es gibt Künstler*innen, wie Haegue Yang, Wilhelm Klotzek oder Michael Beutler, die bereits eine Öffentlichkeit haben, Künster*innen wie Olga Lewicka oder Anna M. Szaflarski, die sich an der Schnittstelle von Kunst und Literatur befinden und denen der Verlag eine Tür in die Kunst öffnet, und Publikationen zu oder von Künstler*innen wie Christoforos Savva (1924–1968), die in Deutschland kaum bekannt sind und durch den Verlag Aufmerksamkeit bekommen.
Zum Abschluss des Treffens kommen wir auf Veranstaltungen wie Releases zu sprechen. Ein Thema, das Malzew besonders am Herzen liegt: „Die Zugänglichkeit unserer Angebote für möglichst viele Menschen ist ein wichtiger Aspekt in unserer Verlagsarbeit, weil es eine weitere Vermittlungsebene darstellt und Möglichkeiten bietet, zusätzliche Zugänge zu schaffen, Publikum anzusprechen, das nicht in unserem Newsletter-Verteiler ist oder auf die Buchmessen geht. Es geht uns dabei nicht nur um eine möglichst große ökonomische Reichweite, sondern wir versuchen mit unseren Angeboten einen Beitrag zu einer kleinen Öffentlichkeit zu leisten.“ Malzew erzählt, dass sie eine Zeitlang einen Buchladen in der Linienstraße mitbetrieben hätten, wo regelmäßig Veranstaltungen stattgefunden hätten. Mit der Corona-Pandemie hätte der Laden jedoch schließen müssen. Dafür wurden neue Formate erprobt: „Während der Corona-Pandemie haben wir eine Reihe von Verlags-Picknicks initiiert, wo wir unsere Neuerscheinungen vorgestellt haben und Gespräche mit Künstler*innen und Grafikdesigner*innen gehostet haben. Das fand viel Anklang und entsprach unserer Vorstellung von ‚öffentlicher Raum’, da es ein offener Raum war, ohne Eintritt, bei dem jede*r kommen und gehen konnte.“

Von Anna-Lena Wenzel

Der Text wurde am 16.11.2022 im Kultur-Mitte Magazin veröffentlicht.

Category: Talk

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